Handlungsempfehlungen: Polizei und Ermittlungsbehörden Innen- und Justizministerien von Bund und Ländern sowie nachgeordnete Polizei- und Strafverfolgungsbehörden

Aus dem Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus mit dem Titel “ Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation.“ Beauftragt durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat.

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt …

• den Innenministerien, Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften, Antiziganismus als bedeutendes strukturelles Problem innerhalb deutscher Polizeibehörden anerkennen. Aus dieser Anerkennung sollten als erster Schritt systematische und unabhängige Erhebungen zu Ausmaß und Ausformung dieses Problems und als zweiter Schritt – insoweit sich die hier geschilderten stichprobenartigen Ergebnisse ganz oder teilweise bestätigen – ein tiefgreifender Strukturwandel innerhalb der Polizeibehörden hervorgehen. Beide Schritte müssen von unabhängigen wissenschaftlichen Überprüfungen begleitet und in Kooperation mit Verbänden von Roma und Sinti  transparent durchgeführt werden.

• bestehende kriminalistische Ansätze, Deliktkonzeptionen, Zuschnitte von Ermittlungsgruppen und anderen polizeilichen Strukturen auf mögliche diskriminierende Auswirkungen gegenüber Sinti oder Roma  zu untersuchen – mit dem Ziel, diese zu beenden und in Zukunft zu unterbinden.

• bestehende Gesetze und Verwaltungsvorschriften und zukünftige Gesetzesvorhaben daraufhin zu überprüfen, ob und inwiefern sie eine Praxis des Racial Profilings ermöglichen oder nahelegen. Gesetze und Vorschriften, die eine Praxis des Racial Profilings ermöglichen oder nahelegen,1170 sollten umgehend überarbeitet oder aufgehoben werden.

• bestehende polizeiliche Datenbanken, Kategorien und andere Datensammlungen daraufhin zu untersuchen, ob sie eine direkte, indirekte oder tendenzielle Erhebung einer Zugehörigkeit zu einer Community der Roma und Sinti ermöglichen. Ziel muss sein, eine solche Erhebung zu beenden und in Zukunft zu unterbinden.1171

• bevölkerungsgenetische Daten von Roma in forensischen Datenbanken einer kritischen Überprüfung mit Blick auf die Rechtmäßigkeit ihrer Erhebung zu unterziehen und auf eine mögliche Diskriminierungswirkung hin zu untersuchen. Insbesondere dürfen Ermittlungsbehörden keine bevölkerungsgenetischen Daten von Roma  erheben oder solche Daten verwenden, die von Ermittlungsbehörden anderer Staaten erhoben wurden.

• den internationalen Datenaustausch daraufhin zu untersuchen, ob und inwiefern Datensätze anderer Staaten sowie von Agenturen und Gremien der europäischen Polizeikooperation auf einer diskriminierenden Erhebungspraxis basieren. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass dies aus den Datensätzen selbst nicht notwendigerweise ersichtlich wird. Das Ziel ist, diskriminierende Auswirkungen auf Roma oder Sinti zu unterbinden.

• die Verbreitung und Ausformung antiziganistischer Vorurteile und Einstellungen unter Polizist:innen und weiteren Mitarbeiter:innen von Ermittlungsbehörden mittels unabhängiger qualitativer und quantitativer Untersuchungen zu erheben. • die Verbreitung, Ausformung und Häufigkeit der Anwendung antiziganistischer Praktiken durch Polizist:innen (wie Racial Profiling, im Vergleich zu anderen Ermittlungen unverhältnismäßiger Ressourcenaufwand oder illegale Polizeigewalt) durch geeignete unabhängige qualitative und quantitative Untersuchungen zu erheben.

• polizeiliche Aus- und Fortbildungen zu überarbeiten und zu ergänzen mit dem Ziel, der Entstehung antiziganistischer Vorurteile und Einstellungen zu begegnen, für diskriminierende polizeiliche Strukturen und Tätigkeiten zu sensibilisieren und antiziganistische Praktiken zu unterbinden.

• polizeiliche Abläufe und Arbeitsroutinen auf allen Ebenen zu überarbeiten mit dem Ziel, diskriminierende polizeiliche Strukturen und Tätigkeiten und antiziganistische Praktiken zu unterbinden.

• unabhängige, finanziell und personell ausreichend abgesicherte sowie mit Ermittlungs- und Weisungsbefugnissen ausgestattete Beschwerdestellen für Betroffene diskriminierender polizeilicher Strukturen und Tätigkeiten und antiziganistischer polizeilicher Praktiken und Handlungen einzurichten. Diese Aufgabe kann – je nach Kontext – auch von allgemeineren Beschwerdestellen übernommen werden, wenn die oben genannten Bedingungen erfüllt und eine entsprechende rassismuskritische Fachkompetenz gegeben ist.

• eine unabhängige Untersuchung zu veranlassen mit dem Ziel, etwaig noch lebende nationalsozialistische Täter:innen zu ermitteln und anzuklagen sowie etwaige Ehrungen, ehrenhafte Entlassungen und staatliche Rentenansprüche nationalsozialistischer Täter:innen zu entziehen.

• eine unabhängige Untersuchung aller Einsätze von Schusswaffen oder anderer massiver Gewalt gegenüber Roma und Sinti  in der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zu veranlassen. Das Ziel sollte sein, mögliche Fehlurteile zu revidieren, mögliche noch zu ahndende Straftaten anzuzeigen und mögliche Opfer antiziganistischer Polizeigewalt anzuerkennen und zu entschädigen. 8. Institutioneller Antiziganismus/Rassismus gegen Roma und Sinti289

Datenschutz

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt …

• den Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern polizeiliche Datenbanken, Kategorien und andere Datensammlungen regelmäßig daraufhin untersuchen, ob sie eine direkte, indirekte oder tendenzielle Erhebung einer Zugehörigkeit zu einer Community der Roma und Sinti ermöglichen. Die Ergebnisse sollten der Öffentlichkeit vollumfänglich zugänglich gemacht werden. Ziel muss sein, eine solche Erhebung zu beenden und in Zukunft zu unterbinden.

Polizeiliche Praxis

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt …

• den Polizeigewerkschaften und -verbänden, sich im Sinne ihrer Mitglieder dafür einsetzen, dass diesen eine grundgesetz- und menschenrechtskonforme Ausübung ihrer Tätigkeit durch ihre Arbeitgeber ermöglicht wird. Das Ziel sollte sein, dass eingeschliffene Strukturen, Abläufe und Praktiken, die Polizist:innen und anderen Mitarbeiter:innen von Ermittlungsbehörden eine grundgesetz- und menschenrechtskonforme Ausübung ihrer Tätigkeit erschweren oder verunmöglichen, benannt und abgebaut werden.

• den Redaktionen von Polizeifachzeitschriften auf die Publikation von Artikeln mit ethnisierenden oder rassistischen Inhalten zu verzichten. In Streitfällen sollten Redaktionen Beiträge kontextualisieren und eine kontroverse Debatte mit unterschiedlichen Positionen ermöglichen.

Forschung

Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt …

• kriminologische Untersuchungen, deren Quellen primär aus Aussagen von Polizist:innen und anderen Mitarbeiter:innen von Ermittlungsbehörden oder aus polizeilichen Ermittlungsakten bestehen, gemäß gängiger wissenschaftlicher Standards einer quellenkritischen Überprüfung und Kontextualisierung zu unterziehen. • Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen Stiftungen, Wissenschaftsvereinigungen und Wissenschaftler:innen, die Forschung zu polizeilicher Diskriminierung von Roma und Sinti  in Geschichte und Gegenwart deutlich zu intensivieren, zu rezipieren und institutionell und finanziell zu fördern.

Wir haben Genderungen durch die Volksbezeichnung „Roma und Sinti“ ersetzt. Zur Begründung:

  • Es wird auch nicht im Ursprungsbericht überall gendergerecht formuliert.
  • Der Bericht weist auf die kontroverse Diskussion zur Genderung hin.
  • Wir möchten als Volk wahrgenommen werden. Als Individuen kann uns jeder gerne in unserer Vielfalt kennenlernen.
  • Wenn es wirklich konsequent um Genderung geht, müsste man auch „Franzosen und Französinnen“ als „Femme et Homme“ formulieren. Bitte verstehen Sie diese Absurdität.
  • Wir bevorzugen generell die Verwendung einer geschlechtsneutralen Form in der Sprache des Romanes.