Aus dem Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus mit dem Titel “ Perspektivwechsel. Nachholende Gerechtigkeit. Partizipation.“ Beauftragt durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat.
Die Ergebnisse der hier vorgestellten Studie weisen auf die strukturelle und alltägliche Realität von Antiziganismus/Rassismus gegen Roma und Sinti in Deutschland. Entsprechend lang und umfassend ist die Liste der Handlungsempfehlungen. Viele der Empfehlungen werden in weiteren Kapiteln des Berichts (zum Beispiel zum Bildungssystem, zur Polizei und Justiz, zu kommunalen Behörden, den Medien, zu Asyl und Bleiberecht, zum Völkermord und der fortgesetzten Verfolgung nach 1945) aufgegriffen. Für eine nachhaltige Bekämpfung von Antiziganismus/Rassismus gegen Roma und Sinti werden im Folgenden fünf Punkte hervorgehoben: Aufbau und Ausbau von Gleichstellung und Diskriminierungsschutz
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt …
• der einzurichtenden Bund-Länder-Kommission (→ zentrale Forderungen), sich für Maßnahmen zur Gleichstellung und zum Diskriminierungsschutz für Roma und Sinti entschieden und nachhaltig einzusetzen. Dies schließt ein:
• die dauerhafte finanzielle Förderung von Antidiskriminierungsbüros bei Selbstorganisationen von Roma und Sinti , inklusive Monitoringstellen zur Dokumentation rassistischer Vorfälle gegen Roma und Sinti .
• die Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen für Landes- und kommunale Behörden und privatrechtlich organisierte Unternehmen, an denen das jeweilige Land die Mehrheit hält (Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen, Polizei, Justiz, Jobcenter, Landesjugendämter, Wohnungsbau- 212 Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus Gesellschaften, öffentliche Verkehrsbetriebe, Stadtwerke, Museen etc.). Die Beschwerdestellen müssen auf gesetzlicher Grundlage über Entscheidungsgewalt sowie Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten verfügen. Die Evaluation der Beschwerdestellen sollte unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft erfolgen.
• die Einrichtung von unabhängigen Anlauf- und Fachstellen für Diskriminierungsschutz an Schulen. Dazu gehört auch die Erarbeitung von Qualitätsstandards und Prozessen zur Bearbeitung von rassistischen/diskriminierenden Vorfällen an Schulen.
• die Einführung eines Verbandsklagerechts gegen Diskriminierung im Rahmen noch zu beschließender Landesantidiskriminierungsgesetze und im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
• eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), die den Sachverhalt der institutionellen Diskriminierung umfassend berücksichtigt. Hierunter fallen auch die Diskriminierungstatbestände im Kontakt zu Justiz, Polizei, Jobcentern, Ordnungs-, Sozial- und Schulbehörden, Jugend- und Stadtplanungsämtern und beim Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem.
Abbau von institutioneller und struktureller Diskriminierung Komplementär zum Aufbau von Gleichstellung und Diskriminierungsschutz empfiehlt die Unabhängige Kommission Antiziganismus den Abbau institutioneller und struktureller Diskriminierung, das heißt insbesondere…
• einen grundlegenden Perspektivwechsel in den behördlichen Handlungsroutinen im Umgang mit Roma und Sinti – weg von Abwehr und Segregation hin zu Fairness und Gerechtigkeit – zu vollziehen. Dazu gehört im Weiteren eine rassismuskritische, intersektionale und diversitätsorientierte sowie regelmäßig evaluierte Organisationsentwicklung für alle Behörden auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene in unmittelbarer Verantwortung der Leitungsebenen.
• rassismuskritische Bildungsarbeit und Antidiskriminierungstrainings für Staatsbedienstete verpflichtend einzuführen. Hier sind besonders die spezifischen Formen des Rassismus, die sich gegen Roma und Sinti richten, zu berücksichtigen.
• ein rassismuskritisches Monitoring behördlicher Praktiken. Zu empfehlen ist die regelmäßige Überprüfung der Verfahrenswege in der Bewilligungsprüfung durch eine unabhängig agierende Stabsstelle für organisationsinterne Prüfungen und einschlägige Beratertätigkeit.
• die Förderung communitybasierter, partizipativer Forschung zu Rassismus gegen Roma und Sinti in staatlichen Behörden (insbesondere Jugendamt, Polizei und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) und allen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem aber Gesundheit, Arbeit, Wohnen, Soziale Arbeit und Bildung. 7. Rassismuserfahrungen 213
Aufbau und Ausbau von Partizipationsstrukturen
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt …
• der einzurichtenden Bund-Länder Kommission (→ zentrale Forderungen), auf die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Arbeit der Organisationen von Roma und Sinti entschieden und nachhaltig hinzuwirken. Dazu bedarf es der institutionellen Förderung beziehungsweise dauerhaften Finanzierung der Selbstorganisationen auf der Grundlage gesetzlich verankerter, transparenter Strukturen. • die zügige Umsetzung von Partizipationsmodellen wie länderspezifischen Staatsverträgen und/oder Partizipationsräten und/oder ähnlichen Maßnahmen in allen Bundesländern. Dies muss in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit den Selbstorganisationen erfolgen und gesetzlich verankert werden.
• die Heterogenität der Communitys und Organisationen der Roma und Sinti bei allen Partizipations- und materiellen Fördermaßnahmen zu berücksichtigen. • ein Vertretungs- und Stimmrecht für Organisationen der Roma und Sinti in allen staatlichen Gremien, in denen es um die Angelegenheiten der Communitys der Roma und Sinti geht bzw. in denen Antiziganismus entgegengewirkt werden muss.
• die Sicherstellung der Repräsentation von Roma und Sinti in allen staatlichen Einrichtungen (z.B. durch Quotenregelungen).
• Behörden und anderen staatlichen Stellen, das Wissen, die Erfahrungen und damit auch die Deutungshoheit und Definitionsmacht der Communitys der Roma und Sinti in allen Fragen der Partizipation und Gleichstellung anzuerkennen und zu respektieren. Dies ist eine grundlegende Voraussetzung für einen „Dialog auf Augenhöhe“.
BLEIBERECHT
Angesichts der historischen Verantwortung Deutschlands dürfen die Sicherheit und der Schutz von Roma und Sinti nicht verhandelbar sein (→ zentrale Forderungen).
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt deshalb…
• den Bundes- und den Länderregierungen respektive den zuständigen Ministerien, alle Roma , die nach Deutschland kommen, um Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung zu entgehen, bestmöglich zu schützen und ihnen einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen. Dies beinhaltet:
• allen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Roma die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit, den Zustand der Staatenlosigkeit gilt es abzuschaffen.
• die Ablehnung des Asyls von Roma über das politisch-juristische Instrument der angeblich „Sicheren Herkunftsstaaten“ sofort zu beenden.
• kumulative Verfolgungsgründe im Asylrecht anzuerkennen.
• die bestmögliche Gesundheitsvorsorge und -versorgung für alle Menschen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Dies schließt die Ermöglichung eines zügigen Zugangs zur regulären Gesundheitsvorsorge für neu Einwandernde, inklusive der Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte und des anonymen Krankenscheins in allen Bundesländern, ein.
Schutz von Roma und Sinti und ihren Organisationen
Die Unabhängige Kommission Antiziganismus empfiehlt…
• den Sicherheits- und Polizeibehörden, umfassende Maßnahmen gegen rassistische/antiziganistische Hetze und Rechtsterrorismus zu ergreifen. Dies schließt ein:
• eine konsequente Strafverfolgung und Ahndung rassistischer/antiziganistischer Straftaten. Als Grundlage für die praktische Arbeit ist ein Kriterienkatalog für die Beurteilung rassistischer/antiziganistischer Straftaten zu schaffen.
• eine strenge Ahndung und rechtliche Verfolgung bei rassistischer/antiziganistischer Hetze durch Staatsbedienstete. • einen umfassenden und wirksamen Schutz der Selbstorganisationen der Roma und Sinti ; dazu gehört auch die konsequente Verfolgung von Drohungen/Bedrohungen, die der Polizei durch die Selbstorganisationen gemeldet werden. • die konsequente rechtliche Verfolgung des Tatbestandes der Volksverhetzung (§ 130 StGB) und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 i.V.m. § 194 Abs. 2 Satz 1 StGB)
auch in Fällen, in denen Roma und Sinti sowie der an Roma und Sinti begangene Völkermord betroffen sind.
• die Förderung von Rassismus kritischen Kampagnen mit Bezug auf Roma und Sinti.
Wir haben Genderungen durch die Volksbezeichnung „Roma und Sinti“ ersetzt. Zur Begründung:
- Es wird auch nicht im Ursprungsbericht überall gendergerecht formuliert.
- Der Bericht weist auf die kontroverse Diskussion zur Genderung hin.
- Wir möchten als Volk wahrgenommen werden. Als Individuen kann uns jeder gerne in unserer Vielfalt kennenlernen.
- Wenn es wirklich konsequent um Genderung geht, müsste man auch „Franzosen und Französinnen“ als „Femme et Homme“ formulieren. Bitte verstehen Sie diese Absurdität.
- Wir bevorzugen generell die Verwendung einer geschlechtsneutralen Form in der Sprache des Romanes.